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Warum die Diagnose PTBS nicht nur eine Privatangelegenheit sondern auch eine gesellschaftliche Sache ist

Zufrieden und ruhig sein, wie ein grasendes, entspanntes Schaf – das wünschen sich viele.

PTBS – die posttraumatische Belastungsstörung bekommt in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Eine sehr gute Entwicklung mit vielen Chancen. Für uns alle. Im heutigen Beitrag möchte ich darauf eingehen, warum diese Diagnose samt ihres heftigen Symptomkomplexes (Wiedererleben, Verdrängung, höchste Anspannung, Rückzug und weitere) kein Einzelschicksal, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit ist.

Triggerwarnung. Falls du von dieser Diagnose betroffen bist, entscheide vorm Lesen, ob du jetzt gerade in diese Thematik einsteigen möchtest. Teile des Textes könnten triggern.

Die PTBS tritt zeitverzögert nach überwältigenden Ereignissen auf. Naturkatastrophen, Überfälle, Kriegseinsätze, häusliche Gewalt, Autounfälle, ja – auch eine Pandemie muss man hier hinzuzählen. Also immer dann, wenn das menschliche Leben real aber auch gefühlt bedroht war, kann sich dieser Symptomkomplex entwickeln.

Bei jedem Menschen.

Wir müssen – und da schreibe ich ganz bewusst müssen – uns auch davon lösen, dass es nur Schwerstbetroffene wie Kriegsveteranen oder Missbrauchsopfer sind, denen so etwas wiederfährt. Es sind nicht die wenigen anderen, die auch noch selbst schuld sind an ihrem Leid. Schließlich haben sie sich für den Dienst an der Waffe oder für den kurzen Rock entschieden. Mal abgesehen davon, dass Betroffene (ich habe grad mal nur zwei exemplarisch genannt) sehr oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben, betrifft es eben nicht nur jene Gruppen.

Es kann wirklich jeden treffen, der einen Unfall beobachtet hat, dem vielleicht während eines Übergriffes die Geldbörse gestohlen wurde, es kann nach einem Wohnungseinbruch auftreten oder bei einem möglicherweise aus Versehen falsch verabreichtem Medikament. Vielleicht wurde jemand vom Hund gebissen wurde. Alltagsschicksale, die so oder so ähnlich zigfach täglich passieren.

Wofür möchte ich im Rahmen von PTBS sensibilisieren?

Zumindest mal für einen ersten Punkt.

Ein Betroffener mit dieser Diagnose braucht, um gesund zu werden, ein unterstützendes Umfeld. Freunde, Bekannte, Kollegen. Und das ist genau der Punkt, warum diese, und sicherlich nicht nur diese Diagnose, ein gesellschaftliches Thema ist.

Sollte es jemand in deinem Umfeld geben, der sich möglicherweise in den letzten Monaten verändert hat, so könnte es sein, dass er in einen solchen oder auch einen anderen Symptomkomplex hineingeraten ist und da eben gerade nicht sofort wieder rauskommt.

Vielleicht braucht der Mensch Hilfe, von dir – vielleicht auch von anderen. Zumindest braucht er aber keinen weiteren Gegenwind, Druck oder beleidigte Ablehnung. Dieser Mensch ist gerade in der Klemme, kämpft mit schlimmsten Symptomen. Er kann gerade nicht auf deine Bedürfnisse eingehen. Vielleicht kann er nicht mal mehr den Telefonhörer in die Hand nehmen um dich anzurufen.

Und noch ein paar weitere Beispiele. Möglicherweise arbeitet dein Kollege nicht mehr so konzentriert, macht Fehler in den Abläufen, fehlt häufiger oder fährt bei der kleinsten auch unbedeutenden Ansprache wütend aus der Haut. Oder jemand Unbekanntes drängelt auf der Autobahn irrational hinter dir rum, brüllt unsachlich rum oder jemand wirkt vielleicht total abwesend oder oder oder.

Merke: Er meint nicht dich – sondern dieser Mensch ist gerade am Rande seiner Schwingungsfähigkeit. Hierbei läuft vieles unterbewusst ab. Selbst kleinste Gegebenheiten, zum Beispiel eine fehlgedeutete Geste, ein Wort, ein Blick, ein Geruchsfetzen, können solche Menschen an den Rand des Wahnsinns treiben. Mit geschickten Strategien halten alle irgendwie durch. Leider zum Beispiel durch Vermeiden von Sozialkontakten oder bestimmten Aktivitäten.

Das könnte wirklich jedem von uns passieren.

Mein Tipp: Beobachte, deeskaliere aber steig nicht ins gleiche Symptom mit ein. (begegnet dir Unachtsamkeit – bleibe du selbst achtsam, begegnet dir Wut – dann versuch trotzdem ruhig zu bleiben und nimm die Sache nicht auf dich, begegnet dir Ablehnung – bleib trotzdem aufgeschlossen).

Stattdessen versuche in solchen Momenten bei dir selbst zu bleiben. Das klingt immer so leicht, doch wie schnell passiert es, dass wir uns genau in diesen Momenten selbst angegriffen fühlen? Klar – da brüllt jemand, da nimmt mich jemand nicht wahr …. da ist jemand, der gerade nicht auf meiner Bedürfnislinie schwingt. Das wäre ja auch ein Traum, wenn alle jemands dieser Welt sich komplett nur auf meine Bedürfnisse einstellen könnten.

Ein Betroffener mit PTBS jedoch empfindet sein Umfeld in der Regel höchst bedrohlich. Logischerweise reagiert er in Verteidungshaltung oder er zieht sich aus Selbstschutz direkt mal zurück.

Nicht immer ist den Betroffenen ihr Verhalten bewusst. Nicht immer wird die Diagnose gestellt.

Allein dieser Fakt macht die Sache für unsere ganze Gesellschaft kompliziert.

Ein Verletzter – verletzt weiter. Ein Opfer – kann zum Täter werden.

Man muss nicht die komplette menschliche Physio- und Psychologie in Gänze erfassen. Kleine Dinge helfen schon extrem.

Das heißt – versuche doch in diesen Momenten, wo dir eine Begegnung unklar vorkommt, dich zu fühlen, zu finden, zu regulieren. Spüre deine Füße am Boden, atme durch und sei dir einfach nur sicher, dass das, was du beobachtest, nichts aber auch rein gar nichts mit dir zu tun hat.

Mehr muss man vom anderen auch nicht wissen. Es geht uns nix an, was dem anderen geschehen ist und es steht uns auch nicht zu, einen Interpretationsversuch zu starten – á la: Oh, du bist wütend, du hast bestimmt eine posttraumatische Belastungsstörung. Bitte nicht. Es gibt tausend andere Gründe, ähnliche Symptome zu entwickeln.

Das wichtigste, was man wissen muss, ist:

Betroffene brauchen Sicherheit. Dann gibt es Chance auf Heilung.

Interpretationsversuche empfinden Betroffene als weiteren Übergriff auf ihr ohnehin schon angekratztes Dasein.

Das beste ist, einfach bei den Fakten zu bleiben. Da ist jemand gedanklich abwesend. Punkt. Er meint nicht mich. Punkt.

Soweit nur für´s allererste … das weitere Entwirrspiel dieser Symptomkomplexe erfordern viel Geduld.

Warum aber kommt es zu diesen Symptomen bei PTBS?

Kurz umschrieben könnte man sagen, das das schreckliche und überwältigende Ereignis, für einen Organismus viel zu viel ist, um es in der viel zu kurzen Zeit zu verarbeiten. Zeit spielt in der Verarbeitung eine wichtige Rolle aber auch die Umstände, wie zum Beispiel ein funktionierendes soziales Netz, traumasensitive oder einfach empathische Ersthelfer.

Eines meiner, ich nenne es mal Alltagsbeispiele ist der Verkehrsunfall. Wir wissen alle, dass das immer mal passieren kann. Vom Aufprall überrascht, regeln wir, falls wir dazu in der Lage sind, vor Ort die nötigen Angelegenheiten. Tauschen Daten, werden medizinisch versorgt und sitzen am nächsten oder übernächsten Tag wieder auf der Arbeit.

Der heimliche Rattenschwanz, der im ersten Moment kaum sichtbar ist, taucht zeitverzögert in Form von erhöhter Wachsamkeit, Anspannung, vielleicht Wiedererleben des Aufpralls immer und immer wieder auf. Paar Stunden später, paar Tage und wenn die Verarbeitung nicht hunderprozent abgeschlossen werden kann, zieht es sich durchaus Monate oder Jahre hin. In die Verarbeitung zählen sämtliche Sachen, die den Vorfall betreffen. Wie sind Angehörige damit umgegangen, wurde einem geholfen, gab es Ersthelfer, wie lief die medizinische Versorgung, zahlt die Versicherung?, hat sich der Verursacher entschuldigt … und und und. Sobald irgendwas noch offen ist, kommt ein Mensch nicht zur Ruhe. Bei manchen entwickelt sich dann die PTBS.

Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als ich 2014 einen kleinen Radsturz mit Handbruch hatte. Ich kam mit dem Gips am Handgelenk aus der Klinik und für den Rest des Abends lag ich auf der Couch. Obwohl ich doch nun in Sicherheit war – sowohl den Sturz als auch die Unnanehmlichkeiten der Erstversorgung überstanden hatte, bin ich wieder und wieder in meinen inneren Bildern von diesem Rad auf den Waldweg gestürzt. Das war echt unangenehm. Das allein ist noch keine PTBS. Aber zu erleben, wie sich das innere Erleben unkontrolliert verselbständigt und so haarscharf zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn ein Gehirn in der Verarbeitung nicht hinterherkommt, war in einer Form auch erschreckend. Nach paar Tagen mit viel Ruhe hatte sich das dann reguliert und kam auch nie wieder vor.

Wie geht es dir jetzt, nachdem du diesen Text gelesen hast?

Wenn jetzt in dir ein kleines Aha entstanden ist, fänd´ ich das schon toll.

Vielleicht hast du selbst so etwas schon erlebt, vielleicht kennst du eine andere Person.

Wir können nicht die Probleme unserer Mitmenschen lösen. Wir müssen uns von den Problemen nicht anstecken lassen – aber als Gesellschaft, als Gruppe dürfen wir zusammenstehen. Dürfen uns unterstützen statt bekämpfen. Dürfen hinschauen und dürfen uns auch stark und kompetent fühlen, die Form an Unterstützung anzubieten, der wir uns gewachsen fühlen. Das muss nicht immer der Psychologe oder der stationäre Aufenthalte sein.

Ein ganz normales Miteinander kann Wunder bewirken.

Gesunde – das heißt für mich aufmerksame, zugewandte Beziehungen zwischen Kollegen, Freunden, Bekannten, Nachbarn können einen großen Beitrag zur Heilung beitragen.

Falls du einen Impuls verspürst, dich zu diesem Thema – PTBS – zu äußern, lass mir gern einen Kommentar da.

Und ansonsten wünsche ich dir einen schönen Tag und bis bald, zum nächsten Beitrag.

Autorin: Sandra Hintringer / Heilpraktikerin für Osteopathie und Traumatherapie

Hinweis: Schön, wenn du dich durch diesen Beitrag grundlegend inspiriert fühlst. Dieser Text ist dennoch geistiges Eigentum und unterliegt dennoch dem Urheberrechtsgesetz.

 

Und wenn du mehr über PTBS lesen möchtest, dann schau doch mal hier:

https://www.degpt.de/informationen/fuer-betroffene/trauma-und-traumafolgen/wie-%C3%A4u%C3%9Fern-sich-traumafolgest%C3%B6rungen/posttraumatische-belastungsst%C3%B6rung/

…oder hier:

https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/trauma/ptbs/

…und dieser Film bei Youtube ist auch sehr anschaulich:

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